Ich kann mich noch ganz genau daran erinnern, was für ein großes Dilemma das Thema Stretching in meinen ersten Jahren im Fitnessstudio für mich war…
„Vor dem Training musst Du dich unbedingt dehnen.“, „Hast du Schmerzen? Mach lieber noch 15 Minuten Stretching nach dem Training.“…
Jeder von uns hat mindestens schon einmal solche oder so ähnliche Aussagen gehört oder selbst auch schon mit einem schlechten Gewissen gedacht, dass man sich doch eigentlich zu wenig stretchen würde.
Gleichzeitig sieht man im Fitnessstudio unzählige Menschen sich stretchen und dehnen was das Zeug hält.
Ob es wirklich so wichtig ist, was man zum Thema Stretching alles so wissen sollte und wie man es richtig macht - das erfährst Du jetzt hier.
Inhaltsverzeichnis
Welche Dehnmethoden gibt es überhaupt?
Es gibt vier grundlegende Dehnmethoden, welche ich für ein besseres Verständnis zunächst kurz Erläutern möchte.
Jede Dehnmethode besteht aus einer jeweiligenDehnform und einer Arbeitsweise der Muskulatur.
Die beiden Dehnformen sind die aktive und passive Dehnung.
Bei der aktiven Dehnung wird die Dehnposition durch eine Kontraktion der Antagonisten herbeigeführt. Soll also die Brustmuskulatur gedehnt werden, wird das Schultergelenk aktiv durch die Rückenmuskulatur nach hinten in eine horizontale Adduktion bewegt.
Die passive Dehnung wird ohne antagonistische Muskelspannung eingenommen. Das heißt, das Gelenk wird durch einen fremden Einfluss in die Dehnung gebracht.
Dieser Einfluss kann die Schwerkraft sein, ein Trainingspartner oder aber zum Beispiel der Pfosten der Dehnstation.
Dehnen oder nicht Dehnen - das ist die Frage?
Weiterhin unterscheidet man klassischerweise in zwei verschiedene Arbeitsweisen der Muskulatur beim Stretching.
Statisches und dynamisches Dehnen.
Beim statischen Dehnen wird die eingenommene Dehnposition gehalten, ohne dass großartig Bewegung im Gelenk stattfindet. (Man denke hier an "klassisches Dehnen")
Das Gegenteil vom statischen Dehnen ist das dynamische Dehnen. Hierbei wird die Dehnposition im Wechsel eingenommen und dann wieder verlassen, das heißt durch Bewegung wird die Dehnspannung immer wieder verändert.
Ein Beispiel wäre hier ein leichtes hin und her Wippen.
Rund um das Training ist für uns Kraftsportler das dynamische Dehnen immer die bessere Wahl - mehr dazu aber gleich.
Es gibt also vier Dehnmethoden aufgrund der vier Kombinationsmöglichkeiten von Dehnform und Arbeitsweise.
Diese sind die statisch-passive Dehnung, die statisch-aktive Dehnung, die dynamisch-passive Dehnung und die dynamisch-aktive Dehnung.
Im Fitnessstudio sieht man am häufigsten die passiven Dehnformen.
Der Arm wird zum Beispiel vor dem Bankdrücken an einen Pfeiler gedrückt, um die Brust zu stretchen, vor dem Kniebeugen wird die dynamsich wechselnde „Russenhocke“ durchgeführt, oder man „hängt“ sich aus vor dem Klimmziehen oder ähnliches…
Bevor auf den realen Nutzen und oder Unnutzen eingehen, müssen wir vorher klären, was denn eigentlich genau beim Dehnen geschieht.
Was bewirkt Dehnen?
Beim Dehnen werden verschiedene Gewebetypen unter Spannung gesetzt, indem Muskelursprung und -ansatz voneinander entfernt werden.
Soweit, so simpel.
Es werden folglich Muskelfasern, Muskel-Sehnen-Übergänge, Sehnen und sich außer- und innerhalb der Muskulatur befindendes Bindegewebe gedehnt.
Die Dehnfähigkeit kann grob in die der nonkontraktilen und der kontraktilen Elemente unterschieden werden.
Die nonkontraktilen Elemente sind unter anderem die Sehnen und das Bindegewebe, welche sich tatsächlich nur geringfügig strecken lassen und ihre Ausgangslänge schnell wieder einnehmen.
Werfen wir als nächstes einen Blick auf die kontraktilen Elemente innerhalb des Sarkomers eines Muskels.
Durch eine Dehnung werden die Aktin- und Myosinfilamente (Muskelproteine für die Kontraktion) auseinandergezogen. Ende der 70er-Jahre konnte ein weiteres Muskelprotein nachgewiesen werden - das Titin.
Das Titin wirkt wie eine Feder und hält die Myosinmoleküle in der parallelen Struktur und schütz somit vor dem Überdehnen des Muskels.
Viele Athleten stretchen sich vor, während oder nach dem Training, jedoch auch Nichtsportler oder Menschen die nicht Fitnessbegeistert sind, kommen häufig mit Dehnübungen in Berührung.
Durch eine Dehnung werden die Aktin- und Myosinfilamente (Muskelproteine für die Kontraktion) auseinandergezogen. Ende der 70er-Jahre konnte ein weiteres Muskelprotein nachgewiesen werden - das Titin.
Das Titin wirkt wie eine Feder und hält die Myosinmoleküle in der parallelen Struktur und schütz somit vor dem Überdehnen des Muskels.
Viele Athleten stretchen sich vor, während oder nach dem Training, jedoch auch Nichtsportler oder Menschen die nicht Fitnessbegeistert sind, kommen häufig mit Dehnübungen in Berührung.
So stretcht sich beispielsweise ebenso der Büroarbeiter in der Mittagspause, um Rückenschmerzen entgegenzuwirken. Auch andere Sportler integrieren das Stretching oft in ihre Warmup- oder Cooldownroutine.
Die unterschiedlichsten Menschen stretchen sich also was das Zeug hält…
Der oder die eine verspricht sich Schmerzfreiheit, andere versuchen ihre Performance zu steigern, und manche wissen gar nicht warum sie es machen und stretchen sich, simpel ausgesprochen, einfach nur um des Dehnens Willen.
Was bringt einem das Dehnen?
Die Effekte einer Dehnung können in kurzfristige und langfristige Dehneffekte unterteilt werden.
Sprich durch das Stretching kann ein gewisses Gelenk in einer größeren Bewegungsreichweite bewegt werden kann. Das ist durchaus hilfreich, um in den wichtigen Grund- und Verbundübungen einen besseres Bewegungsablauf zu haben und damit man so in der Lage ist, sauber und schwer trainieren zu können.
Dieser Effekt hängt eng mit dem ersten zusammen. Durch das regelmäßige stretchen erhöht sich die Schmerztoleranz, wodurch ein größerer Gelenkwinkel eingenommen werden kann.
Das heißt, je besser man die Dehnspannung toleriert, desto größer wird der eingenommene Gelenkwinkel und die Bewegungsreichweite vergrößert sich.
Eine gewisse Mobilität und Flexibilität ist folglich eine gute Sache für uns Kraftsportler.
Was sind die langfristigen Vorteile des Dehnens?
Beim Dehnen hypertrophiert das Sehnengewebe ähnlich wie beim Krafttraining und wird sogar zugfester.
Wer also denkt, seine Sehnen durch das stretchen „länger“ zu machen, der irrt sich.
Die Sehnen werden einem Reiz ausgesetzt. Wird dieser überschwellige Reiz stärker, passen sich die Strukturen an und verdicken. Die Titinfilamente kehren nach einer Dehnung in ihre Ausgangsposition zurück , dadurch lässt sich die Grundspannung des Muskels nicht durch das Dehnen verändern. 4
Das wiederum lässt schlussfolgern, dass Dehnen keine effektive Methode ist, um muskuläre Dysbalancen zu beheben. Da Dysbalancen vereinfacht das Auftreten von unausgeglichenen Grundspannungen sind, ist es also ein Irrtum diese mit Hilfe von exzessivem Dehnen beheben zu können.
Hier decken wir einen der hartnäckigsten Mythen der Fitnessszene auf. Schauen wir uns ein Beispiel genauer an.
Ein Hohlkreuz kann so zum Beispiel nicht einfach mit genügendem Dehnen aus der Welt geschaffen werden…
Das Ziel sollte es sein, das Verhältnis der Grundspannungen zwischen Hüftbeugemuskulatur (und Rückenstrecker) und Hüftstreckmuskulatur (und den geraden Bauchmuskeln) zu Gunsten der Hüftstrecker zu verschieben.
So oder so ähnlich verhält es sich mit vielen Dysbalancen und Fehlstellungen. Anstatt sich einfach nur mehr zu Dehnen, sollte der gesamte Bewegungsapperat gezielt durch das Krafttraining gestärkt und unterstützt werden.
Dass das Dehnen jedoch die Beweglichkeit verbessert, das steht ohne Frage fest.
Zum Abschuss müssen wir nur noch klären, wann man sich denn Dehnen sollte und natürlich auch, wie man es nicht machen sollte!
Dehnen nach Krafttraining - Wann sollte man sich dehnen?
Um diese Frage eindeutig und effizient zu beantworten, werde ich im Folgenden zunächst die größten Mythen widerlegen und anhand von Studien aufzeigen, was das Dehnen kann und was nicht.
Denn wie so oft hilft es schon viel, wenn man einfach weniger falsch macht, anstatt direkt alles richtig zu machen…
Was Dehnen NICHT kann!
Anfang des 21. Jahrhunderts waren Dehnübungen in so gut wie jedem Aufwärmprogramm fest implementiert und so wurde es auch mir beigebracht.
Jeder Sportlehrer und Möchtegern-Fitnessprofi sah das Dehnen vor einer körperlichen Betätigung als den heiligen Gral der Performance.
Die Ursache für solche einen Gedanken war, dass das Dehnen vor dem Sport effizient vor Verletzungen schützen sollte.
Diese Aussage ist jedoch hinreichen widerlegt worden - Das Dehnen beugt nicht vor Verletzungen vor!5
Diese Aussage muss jedoch in den richtigen Kontext gebracht werden.
Wenn du dich vor dem Training bisher gedehnt hast, weil es sich einfach für dich gut anfühlt, dann kannst du es gerne weiter machen. Subjektiv positive Maßnahmen sollten tatsächlich eher selten aus dem eigenen Plan geworfen werden...
Behalte jedoch im Hinterkopf, dass all die Dehnübungen dein Verletzungsrisiko NICHT minimieren wird.
Ebenso reduziert das direkte Dehnen nach dem Sport NICHT die Ermüdung und beschleunigt auch NICHT die Regeneration.6
Je mehr wir uns stretchen, desto mehr müssen wir uns tatsächlich auch davon erholen - klingt komisch, ist aber so.
Bei zu starker, zu langer und zu häufiger Dehnung werden wir Probleme mit der Regeneration vom Krafttraining bekommen.
Exzessives statisches Dehnen vor dem Training (als Warm-up) vermindert außerdem die Kraft und das Muskelwachstum und erhöht nach dem Training den Muskelkater - weshalb das reine Dehnen um das Training herum tatsächlich recht wenig Sinn ergibt.78
Ein Übermaß ist direkt um das Training herum folglich tatsächlich sogar nachteilig.
Dennoch…
Wenn man sich leicht vor dem Training dehnt, weil es sich gut anfühlt und man sich dann besser auf die schweren Lasten vorbereitet fühlt, ist es in Ordnung und nicht direkt ”schlecht”.
Jedoch sollte das Dehnenvor oder nach dem Sport so gut es geht reduziert werden. Je weniger desto besser.
Hier sollten dann eher dynamische Warm-Ups in die Trainingsvorbereitung integriert werden.
Zum Beispiels das Schwingen und Kreisen lassen der Arme und Beine, das Einlaufen auf dem Laufband (Erhöhung der Körpertemperatur) und ausreichend Aufwärmsätze, um so seine Gelenke etc. für das Training zu erwärmen.
Was Dehnen kann!
Moderates Dehnen zeitlich deutlich nach dem Training kann die Regeneration erhöhen - zum Beispiel an den trainingsfreien Tagen. 9
Dieser Punkt ist jedoch leicht gegensätzlich zu den bereits genannten Punkten oben, weshalb ich genauer darauf eingehen möchte.
Wenn wir das Dehnen als Reiz betrachten, können wir diesen Punkt besser verstehen. Ein minimaler Reiz kann die Regeneration erhöhen und den Muskelkater verringern.
Wie zum Beispiel das Spazieren gehen, kann auch moderates Dehnen den Körper zur effektiveren Regeneration anregen.
Der Fokus liegt auf den Worten moderat und kann.
Wirklich spannend dagegen ist für uns eine aktuelle Studie aus dem Jahr 2019 - welche sich mit einer durchaus alten Bodybuilder-Weisheit deckt:
Auch hier hilft es das Dehnen als Reiz oder Stimulus für den Körper zu betrachten und es in Moderation einzusetzen, da es ansonsten sich eher negativ auf die folgenden Arbeitssätze auswirken wird.
Dennoch kann laut der Studie und dem Strength and Conditioning Journal so das Dehnen zwischen den Sätzen hilfreich sein für den Muskelaufbau.
Hier stellt sich jedoch die Frage ob es nicht viel sinnvoller ist, anstatt sich zu stretchen und so einen höheren Reiz zu setzen, einfach einen Satz bei der jeweiligen Übung mehr zu machen - Wehalb ich selbst diese neue Studie eher mit Bedacht betrachte.
Fazit: Dehnen beim Krafttraining - Darauf kommt es an
Wenn man sich die Studienlandschaft anschaut, stellt man fest, dass das Dehnen rund um das Training gemieden werden sollte.
Selbst wenn eine erhöhte Beweglichkeit das Ziel ist, ist es ratsam, bei gleichzeitig praktiziertem Krafttraining, das Dehnen zeitlich so weit wie möglich entfernt von der Krafteinheit durchzuführen.
Ein weitere Mythos ist nämlich ebenso, dass das reine Krafttraining nicht funktional wäre - doch das genaue Gegenteil ist in der Praxis der Fall.
Die richtige Ausführung beim Kreuzheben, Kniebeugen, Rudern, Bankdrücken und Schulterdrücken werden ebenso die eigene Mobilität und Funktionalität des eigenen Körpers stark verbessern.
Die positiven Effekte von moderaten Dehnintensitäten, hinsichtlich des Krafttrainings, sind noch zum aktuellen Zeitpunkt wenig untersucht worden - das Dehnen sollte folglichnicht um des Dehnens Willen durchgeführt werden, sondern nur dann, wenn tatsächlich auch eine erhöhte Beweglichkeit angestrebt wird.
Hier muss sich jeder selbst folgende Frage stellen:
Worin will ich gut sein und was muss ich dafür machen?
Wer stark oder muskulös sein will, sollte sich auf das Stark- und Muskulös werden konzentrieren und auf nichts anderes.
Welche Erfahrungen hast Du mit dem Dehnen gesammelt? Dehnst Du dich regelmäßig und wenn ja, wie hast Du es bisher gehandhabt? Lass es mich in den Kommentaren wissen!
Nachweise
- Wiemann, K., Klee, A. & Startmann, M. (1998). Filamentare Quellen der Muskel-Ruhespannungh und die Behandlung muskulärer Dysbalancen. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, 49 (4), 111-118.
- Schöntaler, S. R. & Ohlendorf, K, (2002). Biomechanische und neurophysiologische Veränderungen nach ein- und mehrfach seriellem passiv-statischem Beweglichkeitstraining (Wissenschaftliche Berichte und Materialien / Bundesinstitut für Sportwissenschaften, 1. Aufl.). Köln: Sport und Buch Strauß.
- Glück, S. (2005). Beeinflussung der Beweglichkeit durch unterschiedliche physische und psychische Einwirkungen. Dissertation. Universität des Saarlandes, Saarbrücken.
- Klee, A. & Wiemann, K. (2005). Beweglichkeit, Dehnfähigkeit. Schorndorf: Hoffmann.
- www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/15782063
- www.frontiersin.org/articles/10.3389/fphys.2018.00403/full
- www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22316148
- www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/8451526
- www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/29529387
- www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/30688865