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Orale Kontrazeptiva: Wie passen Pille und Muskelaufbau zueinander?
Die Wechselwirkungen zwischen oralen Kontrazeptiva und sportlicher Leistungsfähigkeit, insbesondere im Bereich des Muskelaufbaus, sind bislang wenig erforscht.
Während viele Frauen die Pille aus gesundheitlichen oder praktischen Gründen einnehmen, stellen sich häufig Fragen zur möglichen Beeinflussung des Muskelwachstums.
In diesem Artikel beleuchten wir wissenschaftliche Erkenntnisse über die hormonellen Veränderungen durch orale Kontrazeptiva und deren Auswirkungen auf den Muskelaufbau.
Ziel ist es, fundierte Empfehlungen zu geben, wie sich die hormonelle Verhütung und effektives Training für Frauen in Einklang bringen lässt.
Rückgang der Nutzung von hormonellen Verhütungsmitteln
Hormonelle Kontrazeptiva beinhalten die Verabreichung von exogenen Sexualhormonen, welche die endokrine Regulierung des weiblichen Fortpflanzungssystems beeinflussen. 12
Kombinierte orale Kontrazeptiva (KOK) stehen in Europa weiterhin an der Spitze der meistgenutzten Verhütungsmethoden. Trotz dieser dominierenden Rolle zeigt sich jedoch ein allgemeiner Rückgang in ihrer Nutzung, insbesondere bei den unter 30-Jährigen. Diese Entwicklung spiegelt eine Veränderung im Verhütungsverhalten über verschiedene Altersgruppen wider. 3
Adaptiert nach Eymers und Römer (2022) 3
Seit 2010 ist der Anteil an Verordnungen risikoreicher Präparate an gesetzlich krankenversicherte Frauen in der Altersgruppe 15 bis 20 Jahre, der damals 71 % erreichte, zunächst langsam und ab 2016 stärker gesunken. 2020 übertrafen schließlich die risikoärmeren Präparate diesen Anteil. Dies ist auch auf den Anstieg der Minipillen zurückzuführen.
Seit einigen Jahren greifen volljährige Personen in Deutschland wieder häufiger zu Kondomen als zur Pille, wenn es um Verhütung geht. Einer Umfrage zufolge verwenden 53 % der Befragten Kondome – das entspricht etwas mehr als der Hälfte –, während nur 38 % auf die Pille zurückgreifen.
Ein zentraler Grund für diesen Trend scheint eine wachsende Skepsis gegenüber hormonellen Verhütungsmethoden zu sein. Bei der letzten Erhebung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung im Jahr 2023 gaben 61 % der befragten Frauen und Männer im Alter von 18 bis 49 Jahren an, dass hormonelle Verhütung „negative Auswirkungen auf Körper und Seele“ haben könne. Zum Vergleich: 2018 teilten lediglich 48 % diese Bedenken. 4
Welchen Einfluss hat die Pille auf den Muskelaufbau und den Trainingserfolg
Der Rückgang der Nutzung hormoneller Verhütungsmittel, insbesondere aufgrund der Nebenwirkungen, lenkt den Blick auf die vielfältigen Auswirkungen, die diese Präparate auf den Körper haben können.
Hormonelle Verhütungsmittel greifen in zahlreiche physiologische Prozesse ein und zeigen daher nicht nur die gewünschte Verhütungswirkung, sondern auch weitere Effekte. Einige dieser Effekte sind positiv und können sogar therapeutisch genutzt werden. Andere hingegen, wie potenziell schwerwiegende Nebenwirkungen, stellen ein gesundheitliches Risiko dar. 56
Dahingehend ist die Einnahme der Pille und ihr Einfluss auf die sportliche Leistungsfähigkeit und den Aufbau von Muskeln ein häufig diskutiertes Thema. Die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit der Thematik ist definitiv gegeben, da hormonelle Kontrazeptiva in der weiblichen Sportbevölkerung von einem großen Teil (~ 40–51 %) angewendet werden. 789
Es gibt mehrere vermutete Mechanismen, durch die zugeführte Sexualhormone die Anpassung an Krafttraining beeinflussen könnten.
Orale Kontrazeptiva reduzieren die körpereigene Produktion der Eierstockhormone Östrogen und Progesteron. Während Östrogen auf Prozesse wie Proteinumsatz und Satellitenzellaktivität einwirkt, ist seine Rolle beim Muskelaufbau noch nicht vollständig geklärt. Potenzielle Effekte von Progesteron sind weitestgehend unerforscht. 10
Jedoch gibt es auch Mechanismen, die eindeutig als negativ einzustufen sind. Immerhin reduzieren z. B. orale Kombinationspräparate, die Gestagene enthalten, den Androgenspiegel, insbesondere Testosteron, indem sie die Synthese von Androgenen in den Eierstöcken und Nebennieren hemmen und die SHBG-Spiegel (Sexualhormon-bindendes Globulin) erhöhen. Ein hoher SHBG-Spiegel ist ein Indikator dafür, dass insgesamt weniger freie Sexualhormone (Testosteron und Östrogene) verfügbar sind. 11
Wir wissen, dass männliche Sexualhormone wie das Testosteron generell als förderlich für den Muskelaufbau gelten. Testosteron ist auch im Körper von Frauen zu finden, allerdings in weitaus geringeren Mengen als bei Männern. Werden die "männlichen" Hormone nun z. B. durch Gestagene blockiert, könnte sich das negativ auf die Muskelkraft von Frauen auswirken. 12
Demnach konnte in verschiedenen Vergleichsstudien tatsächlich festgestellt werden, dass Präparate mit Antiandrogenen (hemmen die Wirkung männlicher Sexualhormone) einen negativen Effekt auf die Muskelkraft haben und die Wirkung des Krafttrainings bei Frauen reduzieren. 1314
Laut einer Metaanalyse aus dem Jahr 2024 gibt es allerdings keine evidenzbasierten Argumente, die für oder gegen die Verwendung von oralen Kontrazeptiva bei Frauen sprechen, welche Krafttraining zur Steigerung von Hypertrophie bzw. Kraftentwicklung ausüben. 15
Es deutet vieles darauf hin, dass orale Kontrazeptiva der zweiten oder dritten Generation keinen signifikanten Einfluss auf die Entwicklung von Kraft und Muskelmasse im Rahmen eines Krafttrainingsprogramms ausüben. Für Spitzensportlerinnen könnte der vermutlich eher kleine Effekt relevant sein, für Hobbysportlerinnen wahrscheinlich eher weniger. 16
Fazit: Hormonelle Kontrazeptiva wie die Antibabypille und Muskelaufbau sind miteinander vereinbar
Die Diskussion um hormonelle Verhütungsmittel, ihre Nebenwirkungen und ihren Einfluss auf sportliche Leistung sowie Muskelaufbau zeigt, wie vielschichtig das Thema ist.
Zwar legt die aktuelle Studienlage nahe, dass hormonelle Kontrazeptiva keine signifikanten Auswirkungen auf die Kraftentwicklung und Muskelhypertrophie haben, doch bleibt Raum für weitere Forschung - vor allem im Hinblick auf unterschiedliche Wirkungen verschiedener Präparate und mögliche Langzeiteffekte, da insbesondere Muskelaufbau ein langwieriger Prozess ist.
Es steht außer Frage, dass jeder Mensch einzigartig ist und die Entscheidung für orale Verhütungsmittel weit über die reine Schwangerschaftsverhütung hinausgeht. Beispielsweise greifen einige Sportlerinnen zu dieser Methode, um menstruationsbedingte Symptome (z. B. starke Blutungen und Schmerzen) sowie ihre Periode, die ihre körperliche Leistungsfähigkeit beeinträchtigt, zu kontrollieren. 1718
So kann es durch die Beschwerden zu einer Verringerung von Trainingshäufigkeit, -intensität und -umfang kommen. Theoretisch könnten diese Personen sich besser an das Krafttraining anpassen, indem sie durch die Einnahme von KOK die negativen Aspekte menstruationszyklusbedingter Symptome auf die Trainingsleistung verringern. 19
Egal ob mit oder ohne orale Kontrazeptiva: Dein Körper gibt dir wertvolle Hinweise. Und mit der richtigen Balance aus medizinischer Beratung, angepasstem Training und eigenem Körpergefühl kannst du deine muskuläre Leistungssteigerung entlang des Zyklus sicher und effektiv verbessern.
Wissenschaftliche Nachweise
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