In unserem Training fokussieren wir uns (zurecht) auf viele diverse Dinge, wie z.B. die Übungsauswahl, die Trainingsfrequenz, maximale Kontraktion, wie hart und schwer wir trainieren sollten und vieles mehr.
All das ist ohne Frage absolut wichtig - doch aus was allem besteht genau das?
Am Ende setzt sich doch unser gesamtes Training aus vielen einzelnen Wiederholungen zusammen und an der Stelle lohnt es sich doch definitiv, die einzelne Wiederholung mal genauer unter der Lupe zu betrachten.
Denn schaut man sich im Gym scharfsinnig um, sieht man häufig sehr merkwürdige Dinge.
Der eine zappelt rum, der andere telefoniert beim Training und der große Bodybuilder auf YouTube führt nur „halbe“ Wiederholungen aus und pumpt sich trotzdem richtig voll.
So sehe ich jeden Tag genau das:
Viele halbe Wiederholungen, Knieknickse statt Kniebeugen (oftmals durch fehlende Beweglichkeit) und nur wirklich selten sehe ich eine Übungsausführung in der vollen Range of Motion bzw. in dem vollen möglichen Bewegungsradius.
Doch braucht es das überhaupt?
Sind partielle Wiederholungen vielleicht sogar besser für die Hypertrophie?
Oder doch besser Training über die volle Bewegungsamplitude?
Um genau diese Fragen und die tatsächliche Studienlage zu diesen spannenden Themen soll es in diesem Artikel gehen.
Inhaltsverzeichnis
Was ist die ROM - Range of Motion
Die Range of Motion (kurz ROM) beschreibt den zurückgelegten Weg während einer Übung.
Bei jeder Übung benutzen wir Muskeln. Logisch. Diese wiederum bewegen unsere Gelenke und je größer der zurückgelegte Gelenkwinkel ist, desto höher ist die Range of Motion.
Liest man in wissenschaftlichen Artikeln also den Begriff der ROM, hängen damit immer die zurückgelegten Gelenkwinkel und deren Beweglichkeit zusammen.
Es gibt durchaus einige Meinungen in der Fitnesswelt, die das Ausführen von partiellen Wiederholungen als effektiver ansehen und der Gedanke ist tatsächlich gar nicht so abwegig...
Auch gibt es so zum Beispiel neuste Studien auf dem Jahr 2019, die zumindest nach einem 8-wöchigem Trainingsprogramm eine größerer Hypertrophie im Oberköper mit partiellen Wiederholungen feststellten.1
(Mehr dazu später im Artikel.)
Die Antwort scheint also nicht ganz so klar zu sein, wie man es eventuell vorerst denken könnte…
Argumente für eine geringere ROM
Einer der wichtigen Treiber der Hypertrophie, wenn nicht sogar der wichtigste, ist die mechanische Spannung und je höher diese ist, umso besser ist dies in der Regel für den Muskelaufbau.2
Wenn wir nun eine Übung ausführen und dabei weniger Weg zurücklegen müssen, können wir mehr Gewicht bewegen.
- Weil: Arbeit = Kraft x Weg
Ein geringerer Weg bedeutet folglich, dass wir mehr Kraft für die gleiche Arbeit aufbringen können und von daher ja schwerer trainieren könnten, was so wiederum die gesamte mechanische Last auf der Muskulatur erhöhen würden.
So weit so gut.
Das bedeutet folglich, wenn wir mehr Kraft haben, können wir schwerere Gewichte bewegen und erhöhen somit die wichtige mechanische Spannung.
Das zweite Argument bezieht sich auch auf die Spannung des Muskeln selbst (man denke an Time under Tension), betrachtet diese jedoch abhängig von der ROM.
Am Anfang und / oder am Ende einer Bewegung ist die beanspruchte Muskulatur nicht mehr so stark unter Spannung wie in der Mitte.
Die Größe der Spannung hängt mit der jeweiligen Übung und der damit verbundenen Kontraktion zusammen.
Am Anfang einer Kniebeuge beispielsweise ist die Spannung der Muskulatur deutlich geringer als in der untersten Position. Beim Bizeps-Curl hingegen geht die Spannung am obersten Punkt gegen Null.
Das hängt schlichtweg mit der Physik und dem wirkenden Moment zusammen.
Quizfrage:
Müsste man aufgrund dessen nicht mehr Fortschritte und einen besseren Muskelaufbau erzielen, wenn man nur in den Bereichen trainiert, in denen die Spannung am größten ist?
Nun… Schauen wir uns dazu einige Studienergebnisse an.
Range of Motion - Die Studienlage
Zwei schöne Studien verglichen die Muskelzuwächse bei den oben genannten Übungen (Bizeps-Curls & Kniebeugen). 34
Die erste Studie stammt aus dem Jahr 2012 von Pinto et al. (Übung: Bizeps-Curls), während die zweite Studie aus dem 2013 von den Forschern Bloomquist et al. stammt (Übung: Kniebeugen).
Während die Bizeps-Curls in den Gelenkwinkel mit höchster Spannung absolviert wurden, endeten die Squats mit gestreckten Beinen.
Somit ist eigentlich wieder Spannung verloren gegangen, dennoch wurden in den Untersuchungsgruppen mit mehr beziehungsweise der maximalen ROM eine höhere Hypertrophie festgestellt.
Mehr Range of Motion bedeutet also bis hierher größere Muskeln.
Bei den Bizeps-Curls war der Muskelzuwachs sogar höher, obwohl das Gesamtvolumen ganze 36% (!) geringer im Verhältnis zur Vergleichsgruppe war.
Das bedeutet für uns also, dass die maximale Spannung ist nicht so entscheidend ist, wie der volle Bewegungsradius während einer Übung.
Wird nun zurecht der volle Bewegungsumfang im Training fokussiert, ist es Ratsam sich erst dann Gedanken über die Lasten und die von ihnen verursachte Spannung zu kümmern.
Nicht umgekehrt...
Ich möchte eine Studie von McMohan et al. aus dem Jahr 2014 mit einbringen, die uns noch mehr über die Muskelzuwächse verrät. 5
Die Ergebnisse sind nämlich sehr faszinierend und laut der Studie ist die Hypertrophie abhängig von der Muskellänge und der Stretchung, in der jeweils trainiert wird.
Hier wurden zwei Gruppen untersucht.
Eine Gruppe führte die Übung Beinstrecker von 90° bis 40° Knieflexion aus und die andere von 50° bis 0° Knieflexion.
(Also war bei beiden Ausführungen keine volle Range of Motion.)
Erstaunlicherweise stieg in der Gruppe, die in den Gelenkwinkeln, in denen der Muskel gedehnter war, mehr der Muskelquerschnitt und das Hormon IGF-1 war vermehrt vorhanden (IGF-1 ist ein wesentlicher Faktor für die Steuerung des Zellwachstums).
Range of Motion Muskelaufbau
Was bedeutet aber nun all das für uns Athleten im Alltag?
Das Training in den „längeren“ Muskellängen, also in den gedehnteren Positionen bringt uns mehr Muskelwachstum - und genau dies haben wir mithilfe eines Trainings in der vollen Range of Motion.
Wieder ein Punkt mehr für die maximale Range of Motion.
Der Vollständigkeit halber möchte ich noch eine weitere Studie benennen die 2014 für das Muscle & Nerve Journalveröffentlicht wurde, die zu demselben Ergebnis kam. 6
Die Hypertrophie und auch der Kraftaufbau im Quadrizeps war nach einem 8-Wochen-Trainingsprogramm deutlich höher, wenn in der vollen ROM trainiert wurde.
Das Trainingsprogramm beinhaltete verschiedenste Unterkörperübungen wie Ausfallschritte, Beinstrecker, Bulgarian Splitsquats und Kniebeuge.
Die Ergebnisse sind also weniger Übungsspezifisch und gelten grundsätzlich eher generell.
Die Ergebnisse sind also weniger Übungsspezifisch und gelten grundsätzlich eher generell.
Systematische Auswertung zur Frage der Range of Motion
Glücklicherweise gibt es nach der Frage, was besser für den Kraft und Muskelaufbau ist, auch eine systematische Auswertung.
Systematische Auswertungen sind deshalb fantastisch für uns Sportler und Coaches, da sie die gesamte Bandbreite an Studien auswerten und somit eine wirklich sehr fundierte Aussage treffen. (Yey!)
So sahen sich Schoenfeld et. al über 1.300 Studien zu dem Thema an (wovon es letztendlich aber nur 6 in die reale Auswertung schafften) und sie veröffentlichten so im Januar 2020 den aktuellen Standpunkt der wissenschaftlichen Literatur. 7
Das Ergebnis:
Eine volle Range of Motion ist in der Regel partiellen Wiederholungen, sowohl beim Kraft- als auch Muskelaufbau, überlegen.
Jedoch können unter bestimmten Bedingen partielle Wiederholungen sinnvoll im Training sein…
So finden wir auch in der Zusammenfassung der Studie folgenden wichtigen Hinweis:
„Schlussendlich gibt es Hinweise darauf, dass die Wirkung der ROM muskelspezifisch sein könnte; diese Hypothese benötigt jedoch noch weitere Untersuchungen.“
Gibt es also Ausnahmen, wenn eine volle Range of Motion praktisch wirklich besser ist?
Das schauen wir uns als letzten Punkt an…
Anwendung der Range of Motion
Bisher haben wir gelernt, dass wenn es einem möglich ist, man seine Übungen so gut es geht mit der vollen Range of Motion trainieren sollte.
Mit langjähriger Erfahrung im Training und Coaching kann ich dir jedoch sagen, dass nicht jeder Trainierende immer und ausnahmslos die maximale ROM anstreben sollte.
Wenn du den angestrebten Gelenkwinkel (z.B. Aufgrund der Knochenstruktur oder fehlender Mobilität) allein nicht erreichen kannst, solltest du ihn auch nicht im Krafttraining anstreben.
Was heißt das genau?
Nehmen wir das Sumokreuzheben als Beispiel.
Beim Sumokreuzheben ist eine hohe Hüftbeweglichkeit notwendig und die Hüfte muss so in eine relativ große Abduktion gebracht werden.
Kannst du die Startposition nicht schmerzfrei und nicht von selbst erreichen, solltest du auf die ROM verzichten.
Bleiben wir gleich beim Kreuzheben.
Kreuzheben ist eine der besten Übungen, um einen massiven Rückenstrecker aufzubauen. Wie hoch ist aber die ROM des Rückenstreckers beim Kreuzheben?
Richtig - im besten Falle sollte sie gegen null gehen.
Man sieht also auch hier, dass die eigene Gesundheit und die Fähigkeit viel Gewicht zu bewegen und progressiv stärker zu werden in diesem speziellen Fall wichtiger als die maximale ROM im Rückenstrecker ist.
Würde man nämlich das Kreuzheben so ausführen, dass die Wirbel eine höchstmöglichen Gelenkwinkel zurücklegen und das mit dem schweren Gewichten, wäre zwar die Hypertrophie wahrscheinlich größer, aber der Rücken wäre allerdings sehr schnell sehr arg im Eimer.
Ob eine größere ROM also besser für die Hypertrophie ist, hängt somit von der Übung und der Belastung ab. Wenn beispielsweise das Erhöhen der ROM zu einer Entlastung des Muskels führt, kann die Verwendung einer kürzeren ROM vorteilhafter sein.
Ein Beispiel dafür ist die Studie von Goto et al. aus dem Jahr 2019. 8
(Sie war auch Teil der systematischen Auswertung von weiter oben.)
Wenn, wie in dieser Studie der Trizeps, der Muskel bei höherer ROM nicht mehr richtig belastet wird, ist sie nicht von Vorteil.
Wenn jedoch eine Erhöhung der ROM zu einer stärkeren Belastung in der gestreckten Position führt, ist dies für die Hypertrophie vorteilhafter.
Fazit: Range of Motion und der Muskelaufbau
Ich fasse nochmal zusammen.
Eine maximale ROM ist immer anzustreben bzw. die maximale Bewegungsamplitude, der einem zum aktuellen Zeitpunkt risikofrei möglich ist und dies wird grundsätzlich stets vorteilhafter für den Muskelaufbau sein als es partielle Wiederholungen sein werden.
Dies führt vor allem zu einer besseren Hypertrophie und einem geringeren Verletzungsrisiko wenn der Muskel maximal gedehnt wird.
Wenn es nicht sinnvoll ist, eine Übung über die volle ROM auszuüben, merken wir es durch den Spannungsverlust.
In der reinen Theorie haben partielle Wiederholungen durchaus ihre Berechtigung, zum Beispiel um kurzzeitig die mechanische Spannung massiv zu erhöhen, in der Praxis sollte dies jedoch eher nicht der Fall sein.
Die Studienlage deutet darauf hin, dass eine volle Range of Motion grundsätzlich zu einer besseren Hypertrophie führt und die Praxis beweist, dass dies auch deutlich sicherer ist.
Nicht dass sich einer der Leser und Leserinnen unnötig unter 250 Kg beim Kniebeugen vergräbt, nur weil er eine viertel Wiederholung ausführen wollte…
In diesem Sinne - Viel Erfolg und Spaß mit einer maximalen Range of Motion.
Wie sind deine Gedanken zu dem Thema und trainierst Du immer sauber mit der vollen ROM? Lass es mich in de Kommentaren wissen!
Nachweise
- https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/31034463
- https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20847704
- https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22027847
- https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23604798
- https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23625461
- https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23629583
- https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/32030125
- https://journals.lww.com/nsca-jscr/Citation/2019/05000/Partial_Range_ofx_Motion_Exercise_Is_Effective_for.16.aspx
Ich denke dass die volle ROM für muskelaufbau besser ist wie du es angeführt hast aber ich muss zugeben dass ich beim bankdrücken die unterste Position ( schräg und flach) absolut vermeide weil ich immer dann schulterprobleme bekommen habe. Es würde mir nix bringen dass ich es tu und dann mich verletze. Aber jeder der es verkraftet sollte ruhig ganz runter..auch beim bizeps training vermeide ich den Arm komplett hängen zu lassen einfach weil es sich nicht gut anfühlt bei voller Dehnung die ganze Last drauf zu haben
Ein super Beitrag, wirklich interessant.
Unglaublich gut, wie Du Wissenschaft und Umsetzung für das Training zusammen bringst! Danke dafür und gerne mehr davon!
Da passt wieder : lieber sauber trainieren und dann erst hoch Schöner Artikel Ich hatte Probleme mit der linken Schulter, aber die lösen sich in den letzten Wochen immer mehr.
Sehr schöner Artikel mit einem für mich ganz neuen Ansatz. Bisher hatte ich nämlich zum größten Teil im Kopf, dass partielle Wiederholungen Vorrang haben. Nun werde ich mein Training überdenken. Denn gerade in den Kniebeugen sowie im Seitheben weiß ich, dass ich nicht die volle ROM ausführe. Auf jeden Fall nicht ab (ca.) Wiederholung 5. Dies werde ich beim nächsten Training (morgen) direkt mal ausprobieren…auch wenn ich dann von GAINSFIRE sicherlich keinen motivierenden Pokal als Abschluss meiner Übung erhalten werden (da ich sicherlich mit den Gewichten runter gehen muss). Aber….wer braucht schon virtuelle Pokale, wenn am Schluss die Gelenke sowie die Muskeln den Pokal bilden ;-) Gruß Yvonne